Interview

mit Pfarrer Reyes Muñoz
Direktor der Jugendhäuser Calasanz

Aus welchem Umfeld stammen die Kinder in ihren Jugendhäusern?
Einige sind Straßenkinder, andere werden vom Sozialamt an uns überwiesen, weil sie missbraucht oder vernachlässigt wurden. Der dritte Fall sind straffällige Jugendliche, die sich bei uns rehabilitieren können, statt in eine Jugendstrafanstalt gesteckt zu werden. Calasanz arbeitet mit einer anderen Philosophie als klassische Heime, es sind offene Häuser, in denen die Betreuer auch schlafen und wo sich jeder möglichst individuell entfalten kann.

Warum haben sie sich für diese Art der Betreuung entschieden?

Für uns hat die Wiedereingliederung der Jugendlichen in die Gesellschaft Vorrang, und deshalb schaffen wir eine Ersatzfamilie. Bei uns gibt es weder ein Schild an der Tür noch einen Aufpasser. Die Erzieher werden „Onkel“ oder „Tante“ genannt. Wir möchten, dass sich die Jugendlichen wohl fühlen bei uns und leben wie in einer normalen Familie.

So lernen sie, Verantwortung zu übernehmen und identifizieren sich mit „ihrem Haus“. Das ist besonders wichtig für Straßenkinder, die nie das Gefühl hatten, irgendwohin zu gehören.

Wie ist nach 37 Jahren die Erfahrung damit?
Wir sind sehr erfolgreich im Vergleich zu anderen Betreuungsformen. Unsere Kinder bleiben zwischen vier und acht Jahren bei uns, es gibt nur wenige Ausreißer, und viele andere Länder in Lateinamerika, Afrika, Asien und sogar Europa haben unser Modell als Vorbild genommen für ähnliche Projekte.

Was bedeutet für Sie der Kontakt mit diesen Kindern?
Ich habe einen großen Respekt vor ihnen. Wie sie es schaffen, mit großen Schwierigkeiten fertig zu werden. Ich denke, diese Kinder haben so viel Lebensenergie, weil sie ums Nötigste kämpfen mussten: um Essen, eine warme Bleibe, eine freundliche Geste.

Während andere Kinder aus reicheren Familien nie so eine existenzielle Bedrohung erlebt haben und daher abstrakte Probleme überdimensionieren, an Stress oder Depressionen leiden oder sich einfach ziellos treiben lassen. Was mich auch beeindruckt ist ihr tiefer, unerschütterlicher Glaube. Für sie bedeutet Glauben Dankbarkeit und niemals hadern sie mit Gott wegen ihrer Vergangenheit.

Was ist die größte Herausforderung Ihrer Arbeit?
Ich glaube am Schwierigsten ist, dass die Kinder ihrer Trauer einen Platz lassen, nicht vor ihrer Vergangenheit und ihren Schmerzen davonlaufen, sondern sie akzeptieren und aufarbeiten. Sonst besteht die Gefahr, dass sie ihr Leben lang mit einem niedrigen Selbstbewusstsein zu kämpfen haben oder zu Gewaltausbrüchen neigen. Deshalb arbeiten wir an ihrer Fähigkeit, vergeben zu können. Am Schluss sollten sie in der Lage sein, ihre Familie zu besuchen.